Der Countdown läuft – ab dem 01. Mai werden die Lock-Down Restriktionen in Südafrika leicht abgemildert. Insgesamt gibt es einen Fünf-Level-Plan für eine schrittweise Lockerung der Maßnahmen. Wie lange Level 4 in Kraft bleibt wissen wir nicht. Es ist auch gut möglich, dass wir wieder auf Level 5 zurückgestuft werden, wenn die Infektionen wieder steigen.

Im Klartext bedeutet das für uns, dass wir unter strengen Auflagen „nach draußen“ können, Maskenpflicht inklusive. Keine Gruppenveranstaltungen. Kein Treffen von Freunden und Bekannten. Curfew von 20:00 – 05:00. Und die Liste der „Essential Items“ ist überarbeitet worden: Läden und Supermärkte dürfen alles, was sie im Sortiment haben, verkaufen. Macht ja auch Sinn. Warum soll man auch nicht das abverkaufen dürfen, was im Regal steht – ob das dann nachbestellt werden kann oder nicht ist eine andere Geschichte. Unter Level 5 konnte ich im Drogeriemarkt beispielsweise das Farbspray für den nachwachsenden Haaransatz kaufen, aber keinen Nagellack. Anscheinend sind meine unlackierten Zehennägel erträglicher als mein Haaransatz. Im Supermarkt kann ich momentan auch keinen Sekundenkleber kaufen, aber problemlos 100 Schoko-Ostereier. Die Logik entzieht sich mir.  Aber das wird ja ab nächstem Freitag alles anders!?

Alkohol darf erst wieder ab Level 3 verkauft werden – und dann wohl nur von Montag bis Mittwoch, am Vormittag. Auch nicht unbedingt nachvollziehbar. Die Weinindustrie verliert pro Woche an die R200 Millionen aufgrund eines Exportverbots für Wein. Mal kurz überlegen…wenn ich Weinhändler in Europa wäre und gerne südafrikanischen Wein aufstocken würde und keinen bekomme…na, dann kaufe ich woanders. Ein verlorenes Marktsegment für eine Industrie, die schon durch die Wasserkrise arg gebeutelt war. Hier wird argumentiert, dass die Anzahl der Verkehrsunfälle sowie die der Verletzten, die in der Notaufnahme vorsprechen, drastisch zurückgegangen sei seit dem Alkoholverbot… Hat vermutlich nichts damit zu tun, dass alle zuhause bleiben müssen. Und egal wie logisch oder unlogisch das ist: Zigaretten sind ab Level 4 wieder erhältlich. Wie dem auch sei, hier in Südafrika gibt es einen „Public Participation Process“ – die Bürger können schriftlich kundtun, was sie denn von Gesetzesentwürfen und -regelungen halten. Kommentare können bis Morgen um Mitternacht eingereicht werden auf  „Dear South Africa“.

Das größte Problem während der Corona-Krise in Südafrika heißt „Hunger“. Kann man sich in Europa nicht so direkt vorstellen, aber hier im Land gibt es 6,8 Millionen Menschen, die unter der Hungergrenze leben (Zahlen 2019). Das sind circa 1,7 Millionen Haushalte (von geschätzten 16,2 Millionen Haushalten) oder knapp 12% der Gesamtbevölkerung. Hungergrenze bedeutet: weniger als R 561 pro Monat zur Verfügung zu haben. Zum Vergleich: ein „Domestic Worker“ (jemand, der im Haus oder Garten arbeitet), verdient zwischen R 5000 – 6000 im Monat.  Rund 1,2 Millionen Haushalte bauen zusätzlich ihr eigenes Obst und Gemüse an und haben Ziegen oder Hühner, um über die Runden zu kommen. Wenn dann ein fünf-wöchiger harter Lock-Down dazu kommt, entzieht das vielen Menschen die Lebensgrundlage. Denn Tagelöhner werden nur bezahlt, wenn sie arbeiten. Soll heißen:  Ernährungssicherheit ist nicht gegeben. „Domestic Worker“ dürfen erst ab Level 2 wieder zum Dienst antreten, und wann das sein wird steht in den Sternen.

Präsident Ramaphosa hat ein umfangreiches soziales und wirtschaftliches Hilfsprogramm in Höhe von R 500 Milliarden in Aussicht gestellt – inklusive mehr Kindergeld und Essenspaketen für bedürftige Menschen. Alles schön und gut. Aber da, wo es Korruption, Bürokratie, schlechte Datenerfassung sowie schlechte Kommunikation und Koordination gibt, und das Ganze zusätzlich noch gekrönt wird von parteipolitischen Querelen, wird das ein schwieriges Unterfangen. Es verschwinden jetzt schon Essenspakete auf dem Weg von A nach B in großen schwarzen Löchern. Proteste und Aufstände in den Cape Flats, Khayelitsha und anderen Townships sind die Folge. Gewaltsame Auseinandersetzungen mit der Polizei, Plünderungen und brennende Autoreifen – das alles schon nach vier Wochen.  Der Präsident hat die gesamte Armee – immerhin über 70.000 Soldaten – bis zum 26. Juni einsatzverpflichtet, um die Polizei bei der Durchsetzung der Maßnahmen zu unterstützen. Ohne Debatte im Parlament. Bis Ende Juni. Wie war das noch mit der Rainbow Nation?

Ja, und in der Nachbarschafts-WhatsApp-Gruppe geht es langsam rund. Immer die ewig gleichen 10 Leute, die etwas kommentieren. Aber der Ton wird schärfer. Man solle doch bitte seine Quellen überprüfen, bevor man „Fake News“ postet. Und die Quellen angeben. Und nicht permanent mit Großbuchstaben schreiben – das wäre ja, als würde man jemanden anschreien. Und man soll nicht beleidigt sein, wenn nicht alle gleicher Meinung sind. Und man solle an seiner Grammatik arbeiten…Texte sind so schwer zu lesen, wenn jemand den Unterschied zwischen „there“, „their“ und „they’re“ nicht kennt. Besser als jede Mittags-Talkshow!

So, und jetzt laufe ich mal zur Apotheke, ein paar Masken besorgen…

Alle Bilder: unsplash.com (Mish Vizesi, K-I-L-I-A-N, Daniel Tafjard, Anastasiia Chepinska, Capetureson Photography, Sincerely Media, Adam Niescioruk)