Es regnet, unter dem Zitronenbaum pickt ein Hadeda vor sich hin und so langsam macht sich der Lock-Down-Blues breit. Gestern Abend hat der Präsident eine Ansprache gehalten – die sechste, seit Beginn des Lock-Downs – und hat in Aussicht gestellt, dass Südafrika am 01.06. auf Level 3 wechselt mit einer teilweisen Öffnung der Wirtschaft und Erleichterungen für die Bürger.
Die Kritik an der Regierung ist in den letzten Wochen immer lauter geworden: ein schlecht durchdachtes „Freigangsfenster“ für körperliche Ertüchtigung zwischen 06:00 und 09:00 morgens (obwohl es z.B. in Kapstadt erst ab 07:30 hell wird), eine Ausgangssperre von 20:00 bis 05:00, das Verbot von Zigaretten und Alkohol. Eine Verordnung, die bestimmt, welche Kleidungsstücke verkauft werden dürfen und welche nicht. Zum Beispiel dürfen keine offenen Schuhe verkauft werden, sondern nur solche mit Schnürsenkeln. Kurzärmelige T-Shirts sind auch verboten, außer sie werden quasi als Unterhemd unter einem Pullover oä. getragen. Im Internet kamen viele Vergleiche mit der DDR. Rund 19.000 Strafgefangene wurden auf freien Fuß gesetzt, weil sich das Virus ja auch in den Gefängnissen ausbreitet. Im Gegensatz dazu wurde ein Elternpaar mit zwei kleinen Kindern am Strand von Muizenberg verhaftet, weil das zwei-jährige Kind auf den Strand gelaufen ist. Der Polizeipräsident, der sich als Hutträger den hübschen Beinamen „The Mad Hatter“ verdient hat, zeigt sich in der Öffentlichkeit gerne mit der Maske unter der Nase. Besonders unbeliebt ist die Ministerin Nkosazana Dlamini-Zuma, oder kurz NDZ – sie ist die Vorsitzende des NCCC (National Coronavirus Command Council). Kaum hatte die Ministerin öffentlich kundgetan, dass sie das Alkohol- und Zigarettenverbot gerne bis Level 1 aufrechterhalten würde, war auch schon eine Petition in Umlauf, die Ministerin aus ihrem Amt zu entfernen – innerhalb von nur einer Stunde kamen 40.000 Unterschriften zusammen.
Was bringt Level 3? Die langersehnte Abschaffung der Ausgangssperre und des Freigangfensters. Letztendlich soll jeder zuhause bleiben, aber wir dürfen zu jeder Tageszeit spazieren gehen, radeln, Flick-Flacks machen oder anderen Sport. Die Strände bleiben weiterhin geschlossen und Gruppenveranstaltungen sind auch verboten. Alkohol darf an bestimmten Wochentagen und zu bestimmten Zeiten verkauft werden und viele Branchen dürfen wieder arbeiten, wie z.B. Makler. Weiterhin verboten sind Zigaretten sowie alle Massen- oder Gruppenveranstaltungen und es gilt Maskenpflicht für alle. Also nix mit Festivals oder Konzerten.
Und wir so? Wir nutzen morgens den „Freigang“, laufen vorm Frühstück unsere 5km und sind dann gut beschäftigt mit Büro, Haus und Garten. Da es erst ab 07:30 hell wird, pulkt sich um die Uhrzeit natürlich alles auf den Straßen. Radler, Dog-Walker, Eltern mit Kindern – zugehen tuts wie in der Kaufinger Strasse an einem schönen Sommertag. Und kurz vor 09:00 stehen alle bei Maison J – dem kleinen Coffee-Shop im Pick’n’Pay – für Kaffee und Croissants an. Vorbildlichst auf den roten Markierungen für den Mindestabstand. Gleich am ersten Tag, an dem sie wieder verkaufen durften, hat Maison J die Croissants verschenkt – der Supermarkt war geschlossen und wurde von oben bis unten desinfiziert. Jap, Corona ist auch in Camps Bay angekommen.
Abends gibt’s dann Netflix – die Kinos sind bis auf weiteres geschlossen, aber hey, Kapstadt soll ein Autokino bekommen. Wie cool ist das denn! Naja, und dann zieht man halt ein paar alte Scheiben raus (und mittlerweile ist das weder Vinyl noch CD sondern „Stick“ oder Spotify), schwelgt in schönen Erinnerungen und träumt vom nächsten Urlaub auf Fidji oder Bora Bora. Spätestens jetzt merkt man, was für einen Stellenwert „Musik“ oder „Kunst“ im eigenen Leben hat. Eben doch „systemrelevant“, die Kulturschaffenden. Ich zumindest möchte mir diese Corona-Zeit nicht ohne Musik, Filme oder Bücher vorstellen. Wer kennt das nicht – da läuft ein Song im Radio an und man weiß genau…ah….damals…! Musik ist ein Synonym für gute Laune und Kreativität und eben nicht gleichbedeutend mit Erfolg. Dafür muss man ganz besonders in der Musikbranche hart arbeiten und am Puls der Zeit bleiben. Momentan gibt es verständlicherweise keine Konzerte, keine Fan-Aktionen, nada. Viele Künstler halten ja ihre Fangemeinde auf Social Media bei Laune mit Memes, Shelfies und „Geisterkonzerten“ oder was auch immer, aber das füllt nicht unbedingt das Portemonnaie. Nicht zu vergessen die Techniker, die Live-Crew und die Konzertveranstalter, die auch auf Plan B zurückgreifen müssen – die Musikbranche ist letztendlich ein komplexes Gebilde.
Deswegen: Ende Juni läuft hier ein Online Konzert, auf das ich mich ganz besonders freue. Jarrod Aston, ehemaliger Frontmann der südafrikanischen Chartstürmer Cinema, die in den 1980er und 1990er Jahren sagenhafte zwölf #1 Hits gelandet haben, hat das Event „Lockdown Legends“ auf die Beine gestellt. Insgesamt 35 Künstler aus 6 Jahrzehnten südafrikanischer Musikgeschichte geben sich auf der virtuellen Bühne die Ehre. Mit dabei Craig Hinds von Watershed , Ross Learmoth von Prime Circle, Ard Mathews von Just Jinjer, Sipho „Hotstix“ Mabuse…, und natürlich Cinema. Ach ja, und hatte ich Clout erwähnt? ….“Substitute“? Clout waren ja weltweit super erfolgreich. Das Event findet am 28.06. ab 20:15 statt, Tickets kosten R 100. Mit dem Ticket hat man bis einschließlich dem 05.07. Zugang zu dem Content. 75% von dem Erlös kommt den Künstlern zugute, die an dem Event mitwirken und die restlichen 25% gehen an andere Projekte in der Musikindustrie. Covid-Zero ist quasi eine virtuelle Bühne, die Künstlern aller Sparten ermöglicht in Corona Zeiten weiterhin für ihre Fans aufzutreten und gute Vibes zu verbreiten (und ein paar Taler zu verdienen).
Mittlerweile sind wir ja alle „Lockdown Legends“, weil wir so schön brav durchhalten, gell? Ich stöbere jetzt mal online und werde etwas Wein bestellen zur Auslieferung ab Level 3, währenddessen dudelt im Hintergrund „My kind of Girl“ von Cinema.
Danke an Jarrod Aston für „Lockdown Legends“ Logo und Cinema Pressebild
Die anderen Bilder: Unsplash.com (Maxim Zhgulev – Titelbild; Sebastian Canaves; Adam Niescioruk – Maske)