Mitte April, und es wird langsam Herbst. Tagsüber ist es traumhaft schön mit Temperaturen so um die 23°C; herrliche Luft und ideales Wetter für lange Spaziergänge und Wanderungen. Nur leider nicht dieses Jahr. Unser Lock-Down hätte heute um Mitternacht zu Ende sein sollen – der Präsident hat aber noch vor Ostern eine zwei-wöchige Verlängerung bis zum 30.04. angekündigt.

In Anbetracht der steigenden Infektionsraten in Südafrika ist das wohl die richtige Entscheidung. Die Frage ist nur, ob alle Einschränkungen so beibehalten werden können. Unruhen in den Townships, Überfälle auf Supermärkte, Übergriffe vom Militär, Petitionen für Bewegung an der frischen Luft oder für den Verkauf von Zigaretten, eine Frau, die in Sea Point verhaftet wurde, weil sie ihren Hund Gassi geführt hat. Da ist vieles im Argen und nicht der Weisheit letzter Schluss. Vermutlich wird es bis Ende der Woche eine Ansage geben, ob und inwieweit die Restriktionen gelockert werden können. Warten wir es ab. Bis dahin gehen wir abwechselnd zum Einkaufen – das Highlight des Tages. Laut Google-Maps sind es von uns bis zur Promenade 900m…wenn man das ein bisschen ausdehnt und die kleinen Wegerl zwischen den Häusern durch zur Victoria Road nach unten geht, bringt man es hin und zurück auf 3,5 km. Und auf dem Rückweg kann man die 166 Stufen der Houghton Treppe nach oben schnaufen und sich einreden, dass das eh gut für die Gesundheit ist.

Aber wie sieht es denn aus in Afrika? Dem Kontinent mit 55 Ländern und einer geschätzten Bevölkerung von 1,3 Milliarden, also knapp 17% der Weltbevölkerung? Laut den Africanews Zahlen vom 15.04.2020, gibt es 16,265 bestätigte Fälle auf dem Kontinent, wovon 3,235 bereits wieder genesen und 873 verstorben sind. Es gibt insgesamt nur zwei afrikanische Länder, die nicht betroffen sind, nämlich Lesotho und die Komoren. Vielleicht ist es da oben auf 3,000m zu kalt in Lesotho – cooles Skigebiet aber im Juli/August. Und die Komoren? Gelten als Inselparadies, haben ungefähr so viele Einwohner wie München und sind touristisch nicht wirklich erschlossen. Das hilft in diesem Fall hoffentlich den Komori und dem vom Aussterben bedrohten Quastenflosser. Africanews ist übrigens der Schwestersender von Euronews, seit 2016 auf Sendung mit Sitz in Brazzaville, Kongo.

Am schlimmsten betroffen sind Südafrika (2,506 – davon 657 in der Kapregion; Zahlen coronapp.co.za), Ägypten (2,350), Algerien (2,070) und Marokko (1,888). Wieso eigentlich diese Länder? Also, anscheinend hat ein Italienurlauber das Virus mit zurück nach Südafrika gebracht. Bei Ägypten, Algerien und Marokko kann ich nur mutmaßen, dass diese Mittelmeerländer regen Austausch mit anderen europäischen Ländern hatten. Die Zahlen hören sich zunächst nicht so dramatisch an, oder? Nun ja, China hat im Dezember 2019 die ersten Fälle gemeldet und im März 2020 waren bereits mehr als 100 Länder betroffen. Südafrika hatte am 05.03.2020 übersichtliche fünf Fälle hatte und heute (6 Wochen später) sind 2,415 Fälle gemeldet. Auch wenn Afrika weltweit als letzter Kontinent betroffen ist – das Virus ist da und breitet sich schneller aus als gedacht. Und das in Ländern, die mit ganz anderen Problemen zu kämpfen haben wie sozialen Ungleichheiten, einer hohen Zahl von HIV-Infizierten und Tb-Kranken, einer schlechteren medizinischen Versorgung als in Europa (Kapstadt mal ausgenommen), mangelnder Schulbildung und somit schlechter Allgemeinbildung und Entfernungen von A nach B, die wir uns in Deutschland schlecht vorstellen können. Sprich: alles ist schwieriger als in Europa und ein Modell, das dort funktioniert kann man nicht 1:1 auf Afrika übertragen. Die Experten gehen sowieso davon aus, dass das Hoch der Pandemie erst im September in Südafrika zu erwarten ist.

Und was geht so in der Nachbarschafts-WhatsApp-Gruppe? Ist mittlerweile zu einem Privat-Chat von den gefühlten immer gleichen 10 Personen mutiert. „Snitching“ (verpetzen) scheint der neue Volkssport zu sein. Das grenzt schon an Denunziantentum. Da wird verbreitet, dass Nachbar A) schon wieder mit einer Einkaufstasche vorbeigelaufen ist und dass diese eindeutig leer war. Oder dass eine Mutter mit zwei Kindern im Supermarkt war. Sind wir jetzt schon so weit? Schon mal überlegt, dass Nachbar A) eventuell nochmal für die älteren Nachbarn einkaufen geht? Oder dass die Mutter den 5-Jährigen nicht mit dem 3-Jährigen alleine zuhause lassen will? Weil die sich gegenseitig die Haare schneiden, die Augenbrauen abrasieren oder die Katze duschen und dann in der Mikrowelle trocknen? Wie wäre es denn damit, einfach mal das Gespräch zu suchen, anstatt in der Gruppe zu randalieren? Ansonsten wird Präsident Ramaphosa über den grünen Klee gelobt für sein beherztes und schnelles Handeln. Dafür, dass er Leben über Wirtschaft stellt. Mag sein oder auch nicht. Vor der Krise wurde er noch kritisiert als derjenige, der immer nur zaudert und zagt.

Südafrika hat im März den nationalen Notstand ausgerufen und ist als erstes afrikanisches Land in den Lock-Down gegangen. Mittlerweile gilt in 70 Ländern weltweit – 12 davon sind in Afrika – der Ausnahmezustand. Rund die Hälfte der Weltbevölkerung soll also zuhause bleiben. Währenddessen werden Polizei- und Staatsgewalt ausgeweitet. Speziell in Afrika ein mehr als heikles Thema: Eine Pandemie, eine Wirtschaftskrise und das alles begleitet von staatlichen Repressionen. So Notstandsgesetze können lange in Kraft bleiben – teilweise auch mehr als 30 Jahre (siehe Ägypten 1981 – 2012). Oder so ein Ausnahmezustand zur ISIS-Bekämpfung kann dann dazu führen, dass Gesetzesverschärfungen so mir nichts, dir nichts zum Normalzustand werden (siehe Frankreich 2015 – 2017).

Ein noch nie dagewesener Zustand für alle. Jeder fährt auf Sicht und versucht, das Beste daraus zu machen. Wir sollten trotz allem nie vergessen, dass unsere demokratischen Grundrechte und Freiheiten schwer erkämpft sind – und genau deswegen sollten wir unsere Rechte auch nicht leichtsinnig unter Hallelujah-Gesängen abtreten (weil wir alle verunsichert sind). Irgendwann wollen wir schließlich alle ein Stück Normalität zurückhaben und unsere Familien und Freunde sehen. In der Zwischenzeit können wir ein bisschen mehr Verständnis haben, Solidarität zeigen und uns gegenseitig helfen. Und was gibt es Positives? Einige Wirtschaftssegmente scheinen ja tatsächlich zu profitieren. So habe ich doch gerade gelesen, dass Net-A-Porter in der ersten Woche des Lock-Downs in den USA 40% mehr Jogginghosen verkauft hat. Vielleicht ein neues Geschäftsmodell?

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