„Glückwunsch – ihr habt es bis in den April geschafft. Herzlich Willkommen zu Level 4 von Jumanji,“ hat meine Tochter diese Woche in unserer Patchwork-Familien-WhatsApp-Gruppe gepostet. Und genauso kommt es mir auch vor.
Hier in Südafrika sind wir mittlerweile bei Tag 12 vom totalen Lock-Down. Und was heißt das jetzt genau? Präsident Ramaphosa hat den nationalen Notstand für 21 Tage ausgerufen und die damit verbundenen Maßnahmen bedeuten, dass man nur für essentielle Dinge wie einkaufen, einen Arzt- oder Apothekenbesuch das Haus verlassen darf. Kein Gassi gehen, kein joggen. Und es gilt Prohibition: der Verkauf von Alkohol und Zigaretten ist verboten. Nun gut, etwas unkomod, aber wir haben uns hier dementsprechend eingerichtet. Es gibt genügend Fitness Programme auf YouTube und ich habe mal Zeit. Was für ein unglaubliches Gefühl. Zeit, die blöde Ablage zu machen, das Büro und die Sockenschublade aufzuräumen. Und Zeit, um das Buch fertig zu lesen, dass hier schon seit November rumliegt. Abends gibt’s Binge-Watching auf Netflix und Disney+. Yay! Naja, wir hatten uns sowieso vorgenommen, weniger Essen zu gehen und dafür gibt es jetzt Soulfood: Pfannkuchen, Fleischpflanzerl und Spaghetti. Perfekt! Die einzige, die das Ganze nicht versteht, ist die Suki. Fressen ohne Gassi gehen – geht gar nicht, so ein Weimaraner braucht einfach Auslauf und Beschäftigung. Dem edlen Jagdhund ist langweilig. Ich für meinen Teil bin mehr als dankbar, dass wir das Jahr 2020 schreiben, denn WhatsApp, Zoom etc ermöglichen es uns, mit all unseren Lieben in Verbindung zu bleiben. So eine Situation vor 25 Jahren? Furchtbar. Und ja, die Posts von Jared Leto und die „Rock the Lock Down“-Gruppe auf Facebook halten mich auch gut bei Laune. Vielleicht hätte ich ohne Social Media auch sonst die wirklich grandiose Ansprache der Queen verpasst. Das ist, glaube ich, etwas, was jeder in diesen Zeiten hören musste.
Was hier natürlich auch die Runde macht ist jede Menge von Fake News. Zum Beispiel in der Nachbarschafts-Whats-App-Gruppe. Oh, mon Dieu. Jeder ist selbsternannter Virologe, jeder Post wird kommentiert mit „thank you“, „that is interesting“ oder „praise the Lord“. Oder der Post, dass man eine Genehmigung von der Polizei braucht, wenn man zum Einkaufen will. Alles BS – die Polizei hat auch Besseres zu tun. Kreuzkruzifix. Ich habe das mal auf stumm gestellt. Warum ich immer noch in der Gruppe bin? Ab und zu kommen brauchbare Informationen, wie z.B., dass es in dem kleinen Deli Parmesan zu kaufen gibt oder dass der Pick’n’Pay sonntags nur noch bis um 16:00 geöffnet ist. Zweimal am Tag reinschauen langt definitiv.
Soll heißen, uns geht es gut in unserem Elfenbeinturm. Aber was ist denn mit den gestrandeten Touristen, den circa 5000 Obdachlosen in Kapstadt und den Menschen in den Townships?
Mit dem Lock-Down sind auch zig-Tausende deutsche Touristen in Kapstadt hängen geblieben – der internationale Flugverkehr wurde am 26.03. um Mitternacht eingestellt und der letzte PanAm Flug hat offiziell Saigon verlassen. Eine unschöne Situation der Ungewissheit und keiner weiß, wann der Flugverkehr wieder aufgenommen wird. In diesen 21 Tagen dürfen die gestrandeten Touristen ihre Unterkunft nicht wechseln und sitzen fest. Die Botschaft hat zwar schon einige Rückholflüge organisiert, aber bei so vielen Menschen ist das weitaus mehr als eine herkulische Aufgabe. Viele machen sich dann auch Sorgen, ob und wie ihr Visum verlängert wird und wie sie den „Zwangsurlaub“ denn finanzieren sollen. Hier gilt Deutschland als „high risk country“ und unser Gast, der festhängt, hat uns erzählt, dass er angefeindet worden ist, nur weil er einen deutschen Pass hat und dass die Anfrage nach einer Unterkunft vielfach dankend abgelehnt wurde. Nun ja, ich bin heute zum Pick’n’Pay runtergelaufen. Wie ein Gangster bin ich mir vorgekommen. Und wer steht mitten auf dem Trottoir und palavert laut? Eine Gruppe von Deutschen mit Hund. Die deutsche Sprache hört sich für das ausländische Ohr sowieso nicht besonders liebreizend an – bin gespannt, was Morgen wieder in der Nachbarschafts-WhatsApp-Gruppe zu lesen ist.
Laut Angaben der Stadt (2019) gibt es in und um Kapstadt circa 5000 Obdachlose. Diese Menschen haben keine Ausweichmöglichkeiten – was tut denn die Stadt? Kapstadt hat für die Betreuung der Obdachlosen während des Lock-Downs ZAR 10 Millionen bereitgestellt und errichtet auf einem Sportplatz bei Strandfontein ein Zeltlager inklusive Toiletten und Waschmöglichkeiten für circa 4000 Menschen. Ist logistisch vermutlich einfacher, als mehrere Zentren in der Stadt zu errichten. Aber das dauert auch und läuft erst langsam an. „Ladles of Love“ – eine Suppenküche, die zu „normalen Zeiten“ pro Tag circa 400 Essen austeilt, will während des Lock-Downs die Essensausgabe auf 2000 Essen am Tag erhöhen. Selbst wenn man von einem Unkostenbeitrag von R 10 pro Essen ausgeht, sind das dann doch R 20000 pro Tag. Ja, wir haben auch gespendet. Und es ist bei Weitem nicht ausreichend. Verschiedene Initiativen sammeln unverderbliche Lebensmittel von Privathaushalten und holen aber auch von Supermärkten Waren, die sonst weggeschmissen werden würden. Sehr positiv, dass es so viele freiwillige Helfer gibt und dass so viele Menschen den Spendenaufrufen folgen, um den ärmsten der Armen ihr Los zu erleichtern.
Und in den Townships? Sagen wir es mal so: wenn man mit mehreren Personen in einem Shack oder einer Welchblechhütte wohnt, wenn man laufen muss, um Wasser zu holen, wie sollen sich die Maßnahmen hier umsetzen lassen? „Social Distancing“ ist nicht unbedingt etwas, was in der afrikanischen Kultur verankert ist – mir geht diese aufdringliche Nähe ja schon beim Einkaufen auf die Nerven. Es fehlt an Bildung und somit wird das größere Bild auch unterschätzt. Viele Menschen sind Tagelöhner (Gärtner, Hausangestellte) und verdienen in diesen drei Wochen nichts. Wie sollen diese Menschen ihre Familien ernähren? Seit dem Lock-Down sind Preiserhöhungen für essentielle Güter nur in einem begrenzten Rahmen erlaubt und die meisten Supermärkte beschränken die Anzahl der Artikel, die pro Kunde abgegeben wird, z.B. nur 3 Packungen Klopapapier oder drei Dosen Thunfisch. Aber was nutzt das alles, wenn die Menschen kein Geld haben? Seit gestern werden vom Gesundheitsamt Screenings in den Gegenden durchgeführt, die sich als Hot-Spots erweisen.
Gestern: 1686 bestätigte Covid-19 Fälle in Südafrika und die Dunkelziffer wird um ein Vielfaches höher liegen. In den Townships wird jetzt schon randaliert: vor zwei Tagen haben Menschen in Langa einen Schnapsladen ausgeräumt. Zwischenzeitlich würde Polizeiminister Cele die Prohibition auch gerne nach dem Lock-Down noch weiterführen. Hm, die Weinindustrie trägt jährlich so an die R 36 Milliarden zum BSP bei und beschäftigt so an die 300.000 Menschen. Kein unwichtiger Wirtschafts-Faktor. Häusliche Gewalt ist ein leider ein großes Thema in Südafrika. Kann mich noch erinnern, dass wir in meinem „Tour Guiding Kurs“ auch über die südafrikanische Verfassung gesprochen haben. Es gibt einen Ausschuss für Gleichberechtigung und auch einen Ausschuss für traditionelle Rechte. Ich habe mir die Frage erlaubt, ob traditionelle Rechte sich nicht eventuell mit dem Thema Gleichberechtigung beißen. Wenn es z.B. einem Tsonga Mann erlaubt ist drei Frauen zu haben. Antwort von einer Frau aus dem Kurs: „Anja, weißt du, das ist ja so wie: Männern ist es ja auch erlaubt, Frauen zu schlagen und Frauen dürfen aber nicht zurückschlagen.“ Diese Aussage von einer Frau über 50, die lange Jahre in Deutschland gelebt hat. Da möchte man nicht an die Frauen und Kinder denken, die mit einem gewalttätigen Menschen zuhause festsitzen, der vielleicht auch noch Suchtprobleme hat, weil der Verkauf von Alkohol und Zigaretten verboten ist.
Tag 12 vom Lock-Down. Juhu, schon 57% geschafft? Eher nicht. Gibt es auch etwas Positives? Ja, es regnet und wir haben kein Load-Shedding. Und wir haben noch 25 Rollen Klopapier und 5 Packungen mit Pasta. Spaß beiseite: Die Restriktionen werden auch nach dem 16.04. aufrechterhalten werden müssen – mit strengen Auflagen. Da wird kein Weg dran vorbei gehen. Aber hoffentlich wird es den Menschen in einem vernünftigen Rahmen gestattet, arbeiten zu gehen und sich draußen zu bewegen.